Auf ein Getränk mit Marcel Reif
Blue Ribbon: Die Überschrift heißt heute „Auf ein Getränk mit Marcel Reif. Da wir uns hier draußen getroffen haben, bleibt es heute bei Wasser. Aber was wäre das Getränk Ihrer Wahl?
Marcel Reif: Erstens hängt das von der Tageszeit ab. Zweitens hängt es von der Gegend ab und drittens von meiner Lust und Laune. Es gibt Abende, da würde ich für ein Bier ein Vermögen hinlegen. Dann gibt es wieder eine lange Zeit, wo mich ein Bier nicht interessiert. Mit Rotwein habe ich so Phasen. Wenn wir unten in Apulien sind, dann fließt viel Rotwein. Auf der anderen Seite haben die wunderbare Weißweine. Cola light trinke ich nicht mehr. Früher habe ich das viel getrunken. Gesünder ist es geworden. Alles in Maßen. Richtig besoffen war ich schon lange nicht mehr und es fehlt mir auch nicht.
Blue Ribbon (Christina): Meine Kollegin ist viel zu Bescheiden, um das „Du“ anzubieten. Daher, Marcel, wir sind ja schon länger per du, möchte ich das an ihrer Stelle gerne tun. Wäre das für dich in Ordnung?
Marcel Reif: Ja, das ist ok für mich. Das muss für mich aber immer, so viel Schablonendenken werde ich mir erhalten, von der Frau kommen. Und ich werde auch weiterhin für eine Frau eine Tür aufhalten. Wenn meine Frau einen Koffer anfasst - das hat sie nach 10-jährigem Kampf nun aufgegeben - sage ich ihr: „Wenn du den Koffer noch einmal anfasst, drehe ich mich um und gehe zurück. Ich trag den Koffer die Treppe runter.“ Nicht, weil ich so ein toller Typ bin oder weil ich denke die Frau kann es nicht.

Auf ein Getränk mit Marcel Reif
Ich helfe auch in den Mantel. Ich habe erlebt, dass Frauen es als Kampf um Emanzipation ansehen, wenn man ihnen in den Mantel hilft. Aber ich führe gerade keinen Kampf, sondern ich helfe dir einfach beim Mantel, weil ich das so von meinem Vater gesehen und gelernt habe und das ganz prima finde. Das ist mir in Fleisch und Blut. Dabei bin ich doch der schlimmste „Me too Kämpfer“ den du dir vorstellen kannst!“ Für die, denen man Schaden zufügt und für jeden Übergriff in die falsche Richtung. Für die werde ich kämpfen bis zum letzten Tropfen. Und letzter Satz noch dazu. Es gibt diesen wunderbaren englischen Ausdruck. When a man helps a woman out of the car, either the car is new or the woman.“ Und ich finde es immer noch ganz schön, wenn ich ums Taxi gehe…. Aber das ändert meine Frau nicht mehr. Sie geht zur Tür und steigt ein.
Blue Ribbon (Katharina): Auf Grund der Prominenz könnte man aber auch meinen sei es angebracht zu warten, bis das „Du“ angeboten wird?
Marcel Reif: Deswegen bin ich kein besserer Mensch, garnicht. Ich brauche das alles nicht. Es gibt einfach Dinge, die gehören sich und andere, die gehören sich nicht. Ich habe immer gesagt: „Mir ist Kleiderordnung relativ Wurscht, es sei denn sie wird verletzt.“ Das soll heißen, wenn es am Ü-Wagen nur einen Parkplatz gibt und ich bin Mitte 60 und Chefreporter, dann kriege ich den und nicht ein Dreißigjähriger. Ganz einfach. Und wenn man das nicht merkt und das wird verletzt, dann werd ich richtig sauer. Bis dahin, brauche ich das alles nicht. Also grundlegend finde ich den Gedanken der Etikette super, außer es nervt. Und noch kriege den Tisch in München ich. Aber seit gestern ist meine Frau Mitglied des Verwaltungsrates des FC Bayern München. Mein Sohn (Sportdirektor bei Bayer Leverkusen) stürzt sich in ein Schwert und sagt: „Das glaube ich nicht!“ Im Käfer Besteckstübchen, wo nur die großen Verträge gemacht werden, hat der Präsident, sie gekeilt für den Verwaltungsrat. „Wir brauchen auch mal eine Frau von außen, wir brauchen Klugheit, Wissenschaftlichkeit.“ Sie kommt nach Hause und ich sage: „Oh prima, da kann ich ja immer mitkommen.“ Und sie antwortet „Ne, ist ohne Begleitung“ Soviel zur Prominenz. Da kam es zur Wahrheit. (Lacht)
Aber legen wir mal los!
Blue Ribbon: Ja gerne. Bei unserer Recherche haben ich festgestellt, dass nicht viel über dich im Netz zu finden ist. Bist du bewusst mit deinem Privatleben eher zurückhaltend oder sind einfach die Fußballthemen so dominant im Netz, dass das Privatleben da nicht durchkommt?
Marcel Reif: Ich öffne mich denen nicht. Sie müssen sich das holen, was sie für richtig halten und wenn mir das nicht passt, dann wehre ich mich dagegen. Ich mache da eigentlich nichts. Meine Frau macht das. Sie daddelt mit einem Vergnügen und hat Spaß daran.
Blue Ribbon: Du wohnst in München und auch in Zürich.
Marcel Reif: Zürich nicht mehr. Da baue ich zunehmend ab. Meine Söhne sind aus dem Haus und ich fliege dort ein zwei Mal im Monat zur Arbeit hin. Mein Lebensmittelpunkt hat sich verlagert.
Blue Ribbon: Gibt es denn einen Lieblingsort für dich in Zürich?
Marcel Reif: Alles, was mit dem See zu tun hat. Ich habe da sehr gerne gewohnt. Es ist eine unfassbar teure statt. Wahnsinn! Aber es ist eine lebenswerte Stadt. Sie ist auch in allen Umfragen mit Vancouver gleich auf, was die Lebensqualität angeht. Aber auch mit Oslo, Tokio und Tel Aviv die teuerste der Welt. Was ich sehr schätze ist das Restaurant Seerose. Das liegt auf dem See auf einer kleinen Halbinsel. Das Wasser, die Berge…
Blue Ribbon: Was machst du, wenn du wenn du gerade nicht Fußball kommentierst?
Marcel Reif: Familie, meine drei Söhne, meine zwei Enkel. Und ansonsten Faulenzen. Richtig bewusst mich dazu zwingen, mal nichts zu machen. Es gibt aber einfach auch immer noch so Vieles, was mir auch Spaß macht.
Blue Ribbon: Den Eindruck hat man auch. Du dürftest ja auch schon „Ruhestand machen“, bist aber noch viel zu sehen.
Marcel Reif: Alles nach dem Lustprinzip. Wenn ich merke, dazu habe ich keine Lust, dann macht mich das auch zu einem ganz schwierigen Verhandlungspartner. Wenn jemand sagt: „Machen Sie mit. Ich schmeiße Sie auch mit Geld zu.“ Dann sage ich: „Überlegen Sie sich das gut, weil ich habe eigentlich keine Lust. Ich werde jetzt eine Phantasiesumme nennen und Sie lachen und dann lassen wir das.“ Es ist nicht mehr wie früher, wo man dachte: ‚Was ist, wenn der jetzt nein sagt.‘
Also, ich lebe sehr gerne zur Zeit. Ich merke, dass Zeit für mich seit geraumer Zeit die entscheidende Währung ist. Nicht mehr Geld. Ich sage immer: „Wenn du mir Geld raubst, das kann ich wieder verdienen. Wenn du mir Zeit stiehlst, wirst du mich zum Todfeind haben.“ Ich hatte eine Zeit, da hatte ich am Abend 16 Häkchen hinter meine Dinge gemacht und dann war es auch Zeit in die Haia zu gehen. Das kann doch nicht der Tag gewesen sein. Ich kann mich doch nicht von anderen durch mein Leben hetzen lassen. Es ist nun wirklich so. Faulenzen! Ich lese zwischendurch mal, meine Frau hat einen anstrengenden Beruf. Wir beide genießen es mal nichts zu machen. Frühstücken, tun wir dann, wenn wir es für richtig halten. Ich habe das lange genug gemacht. Ich war zum Beispiel auch lange genug die Hälfte der Woche Alleinerziehender Vater und glaube mir, da war der Tag getaktet.
Blue Ribbon: Du heißt eigentlich Mark Nathan?
Marcel Reif: Das ist gelogen. Marek, viel schöner als Mark. Das ist mein polnischer erster Vorname. Warum die das dann zu Marcel gedreht haben, weiß ich nicht. Meine Eltern haben vielleicht gedacht, ‚Bevor der jetzt ständig gefragt wird, warum er Marek heißt…‘ und dann wurde das geändert. Und zu Nathan, ich bin ja schon etwas älter. Und als die PLO die Flugzeuge entführt und in die Luft gejagt hat, da fing ich gerade an viel zu reisen für das ZDF. Da habe ich mir im Pass den schönen jüdischen Namen Nathan rausnehmen lassen. Ich wollte nicht der Erste sein, wenn vorne im Flieger einer steht, „Na, der Nathan, wer ist das?“ Heute würde ich sagen Nathan, Marek, nennt mich, wie ihr wollt.
Blue Ribbon: Du hast ja auch den jüdischen Hintergrund.
Marcel Reif: Wobei, das ist eigentlich eine Behauptung. Ich bin nichtmal Halbjude. Mein Vater ist Jude.
Blue Ribbon: Und dann wäre das doch halbjüdisch, oder?
Marcel Reif: Nene! Jetzt lernst du was. Wenn meine Mutter Jüdin gewesen wäre, wäre ich Halbjude. Bei meinem Vater müsste ich, wenn ich jetzt Jude sein wollte, eine riesen Tour machen, bis ein Rabbiner das bestätigt. Warum? Die Begründung liegt in der Geschichte der Verfolgung der Juden. Die Mutter war immer unstrittig, der Vater konnte ein Vergewaltiger von wo auch immer gewesen sein.
Blue Ribbon: Für die Nationalsozialisten wäre das wahrscheinlich ausreichend gewesen.
Marcel Reif: Ja, denen reichte das als Ausweis. Also, mich hat es nie in irgendwelche „Clubs“ getrieben. Ich war römisch-katholisch, ich war mal dies. Ich habe von meiner katholischen Mutter und von meinem jüdischen Vater ausreichend für meinen Kompass gekriegt und das selbe habe ich meinen Söhnen versucht zu vermitteln. Mich hat im Nachhinein vieles am Jüdischen mehr interessiert, als in jungen Jahren.
Blue Ribbon: Und auf Grund dessen seid ihr auch nach Deutschland eingewandert, aus Polen heraus. Hast du da noch eine Erinnerung dran?
Marcel Reif: Ja, ich habe ein absurd gutes Kindheitsgedächtnis. Wir sind von Polen nach Israel. Ein Jahr habe ich in Tel Aviv gelebt und dann ging es nach Deutschland. Wenn ich heute nach Tel Aviv komme und gehe zurück in diese Ecken, dann erkenne ich das wieder. Da war ich fünf, sechs Jahre alt.
Vor ein paar Jahren hat meine Frau mir eine Überraschungsreise nach Warschau geschenkt und gesagt: „Jetzt zeigst du mir mal dein Warschau“. Ich habe das Haus gefunden, wo ich gelebt habe. Wahnsinn! Es ist vieles an Erinnerungen geblieben.
Deswegen, ich habe Heimat nie an einem Ort festgemacht. Sonst wäre ich ja dauernd entwurzelt worden. Du fragtest nach Zürich. Anfang letzter Woche habe ich mein Auto genommen, das gepackt, was noch da war. Das Haus habe ich vor ein paar Jahren schon verkauft und dann habe ich da zu gemacht… mich abgemeldet. Zürich wird ja auch weiter existieren ohne mich. Ich habe keine Sehnsuchtsorte. In Kaiserslautern habe ich noch einen Schulfreund und dort eine wundervolle Kindheit gehabt. Da fahre ich jederzeit gerne hin. In Köln habe ich meine zweite Frau kennengelernt und im Job richtig gearbeitet. War ‚ne tolle Zeit. Wiesbaden, Mainz, alles großartig. Heimat ist immer da, wo die Menschen sind, die mir wichtig sind. München ist eine ein bisschen bräsig, barocke Langweilerstadt. Aber ich fühle mich hier wohl, weil meine Frau hier ist. Wir leben hier.
Blue Ribbon: Auch wenn es sehr schön ist, ein bisschen zu schwatzen, es geht ja bei Blue Ribbon um Prostatakrebs. Was ist der Hintergrund für dein Engagement bei uns?
Marcel Reif: Ich bin mit einer Ärztin verheiratet. Das schärft den Blick. Es gibt Dinge, die Männer über viele Jahre nicht anfassen. „Wieviel Sport machst du die Woche? Zeig mal deine Muskeln, rauchst du noch?“ Und dann hat sich das. Aber Präventionsthemen sind bei Männern überhaupt nicht so verankert, wie es sein müsste. Den Männern musst du das mit dem Holzhammer einbläuen. Wohingegen Frauen von jungem Alter an wissen, du hast die und die Untersuchung in dem und dem Zyklus und damit hat es sich. Daher: alles was ein bisschen Aufmerksamkeit schärft in der männlichen Abteilung, ist es wert, sich dafür einzusetzen.
Meine persönlichen Erfahrungen spielen da auch eine Rolle. Mein Vater ist an Magenkrebs gestorben, also bin ich Kandidat und gehe zur Magen-Darmspiegelung in empfohlenen Abschnitten, weil ich es für lebenserhaltend halte. Und ich lebe ganz gern. Prostatakrebs ist auch Teil der Untersuchung. Mein Schwager hat letzte Woche die Diagnose bekommen in einer Früherkennungsuntersuchung. Es wurde aber im frühen Stadium erkannt und es wurde ihm gesagt: „Deine Heilungschancen sind sehr gut.“ Mehr musst man nicht sagen, oder? Wenn der nun nicht hingeht und meint es sei nur für Opa und Oma, dann hätte er Zeit verloren. Es rettet dir dein eigenes Leben. Nicht mehr und nicht weniger.
Blue Ribbon: Warum ist dieses wichtige Thema unter Männern kein großes Gesprächsthema.
Marcel Reif: Es ist ein männliches Phänomen. Endlichkeit, Zerbrechlichkeit, auch wenn es plumpes Schablonendenken ist, findet sich bei Frauen eher. Männer wollen stark und unersetzlich sein und die Welt auf ihren Schultern tragen. Ich bin Vater von drei Söhnen. Ich hoffe, dass sie sich ein Beispiel nehmen, wenn ich Ihnen sage, dass das wichtige Themen sind.
Blue Ribbon: Was macht dich da anders? Warum traust du dich?
Marcel Reif: Die Gnade der frühen Geburt, schätze ich. Mein Alter. Ich will ja nicht behaupten, dass ich so schlau, wie ich heute daherrede war mit 35 oder 40…. 45. Als ich 50 war, da starb mein Vater. Um die Zeit, da könnte es sein, dass ich da ein wenig aufgewacht bin.
Meine Frau hält im Kalender meine Untersuchungen nach und sagt, wenn ich wieder dran bin. Es ist ja nicht so, dass ich sage: „Wann kann ich denn endlich wieder meine Vorsorge machen?“ Es ist notwendig, wie Atmen. Ansonsten weil ich auch weiß, dass es im familiären und Freundeskreis 1000 Dinge gibt. Ich bin in dem Alter, wo sich Freunde auch verabschieden. Und die sterben nicht gesund. Die haben irgendwelche Dinge. Das rüttelt einen wach. Ich bin kein Wohltäter. Ich versuche ja nur ein längst offene Tür, die die Männer aber nicht sehen, einzutreten. Die müssen begreifen, dass wenn du den Zeitpunkt verpasst, werden die Heilungschancen geringer.
Blue Ribbon: Du sagtest im Webinar, an dem du mit uns teilgenommen hast, dass die Früherkennungsuntersuchungen in der Klinik deiner Frau (Brustzentrum) zurückgegangen sind. Das wurde nun auch mit einer Studie bestätigt. Die Vermutung ist groß, dass sich das in fünf bis zehn Jahren in der Sterblichkeitsstatistik wiederfinden wird.
Marcel Reif: Ein verlorenes Jahr für diese Personen. Meine Frau erzählt nun immer mal wieder: „Heute hatte ich wieder jemand, da kann ich dir genau sagen, was lost ist. Genau dieses verfluchte Corona Jahr hat die daran gehindert zur Untersuchung zu kommen. Dann hätte ich wahrscheinlich drei Metastasen weniger gehabt oder die Lympfdrüsen wären vielleicht noch nicht befallen gewesen und dann hätte ich die gehabt. Aber so, wird es schwierig.
Blue Ribbon: Was hast du heute noch vor?
Marcel Reif: Der Playboy hat 50-jähriges Jubiläum. Da habe ich eine Einladung. Eigentlich ohne Begleitung. Da habe ich gesagt: „Meine Frau kommt mit und wenn nicht, dann lassen wir das. Da schrieben sie gleich „Ja, super!“ Da gehen wir hin. Eine Stunde ein bisschen quatschen und was trinken und dann gehen wir auch wieder.
Wir danken Marcel Reif für sein Engagement und die Zeit, die er sich immer wieder für die Unterstützung unserer Arbeit nimmt!